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Deshaun Watson

Unverzeihlich

Content Notification: Sexuelle Gewalt

One lawsuit detailed that Watson assaulted the plaintiff by shutting the doors to a room, locking the doors and eventually grabbing the therapist’s hands. Per court documents, he moved them toward his genitals and forced her hands onto his penis “to get her to pleasure him.” According to the lawsuit, Watson later said, “I will not have you sign a NDA but don’t ever talk about this.”

Another read, “Watson assaulted and harassed the Plaintiff by grabbing Plaintiff’s buttocks and vagina, touching her with his penis and trying to force her to perform oral sex on him.”

The filings also described Watson’s ignoring the plaintiffs’ requests to remain professional or when they said no to his requests. One plaintiff described how during one session she was “mentally beat, the pressure from Waton’s [sic] relentless instruction coercing her against her will left her powerless.” According to the court records, the plaintiff followed what Watson had been instructing her to do “in an effort to finally end the massage session and with hopes to be free to leave.” 

Sports Illustrated, https://www.si.com/nfl/2022/03/11/deshaun-watson-what-we-know-one-year-after-first-lawsuit

Wir sind fest davon ausgegangen, dass Deshaun Watson nach Atlanta geht. Die Erleichterung, die wir gespürt haben, als der Trade zu den Browns bekannt gegeben wurde, war immens. Nichtsdestotrotz haben die letzten Tage deutliche Spuren hinterlassen – und wir urteilen über die Falcons unabhängig davon, wie sich Watson entschieden hat. Ein Thinkpiece mit einem Happy End, das irgendwie doch keines ist.

Denn auch wenn Watson nicht nach Atlanta getradet wurde: Wir haben die letzten Tage gelernt, dass die Falcons eine Franchise ohne Moral, Prinzipien und Anstand sind. Dass der gewünschte neue Franchise-QB jemand ist, den wir nicht in der NFL und erst Recht nicht im Falcons-Jersey sehen wollen. Und dass unser Lieblingsteam damit dazu beiträgt, dass es Opfer sexueller Gewalt weiterhin schwer haben werden, sich zu trauen, von ihrem Schicksal zu erzählen, und ihnen dabei zugehört und geglaubt wird. Wir möchten unsere Gedanken zu diesen denkwürdigen Tagen als Falcons-Fans niederschreiben.

Arthur Blank, Terry Fontenot und Arthur Smith

Es ist schön, dass Watson nicht der neue QB der Falcons ist. Für das Urteil über das Falcons Front Office ist das egal. Der Versuch, die Bemühungen, der rote Teppich für Watson. Es ist unverzeihlich.

Für eine Franchise, der Werte wichtig zu sein schienen. Wir konnten in der Vergangenheit durchaus stolz auf unsere Franchise sein – weil sie Werte vertrat, Spieler gut behandelte, keinen Dan Snyder als Besitzer hat und für NFL-Verhältnisse integer zu sein schien.

Für einen General Manager, der oft genug betont hat, wie wichtig der Charakter der Spieler ist. Zitat aus dem letzten Jahr: „It always starts off with the make-up of the individuals. We are going to assess the personal character and the football character.“ Was ist denn nun der „personal character“ von Deshaun Watson, Herr Fontenot?

Letztes Jahr warfen die Falcons im Sommer Edge-Rusher Barkevious Mingo raus, als herauskam, dass dieser versucht habe, sexuellen Kontakt mit einem Kind zu initiieren. Es war die einzig richtige Entscheidung. Anscheinend wird der moralische Kompass aber nur dann in der Hand gehalten, wenn es ein replacement level Edge Rusher und nicht der potentielle neue Franchise Quarterback ist.

Im Jahr 2016, mit dem alten Front Office aber demselben Owner, wurde Rookie-Linebacker Torrey Green gecuttet, nachdem er der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde. Arthur Blank sagte damals, dass es egal gewesen wäre, wer dieser Spieler sei, man hätte so gehandelt. Man wolle niemanden in der Falcons-Organisation haben, dem solche Vorwürfe gemacht werden.

Bei so viel Scheinheiligkeit kommt uns die Kotze hoch. Entweder hat Herr Blank bezüglich seiner Meinung eine 180 Grad-Wende hingelegt, oder es ist ihm doch nicht egal, ob die Vorwürfe einen Rookie-LB oder einen Star-QB betreffen.

Wir wissen nicht, wer besonders auf den Trade gepusht hat, wer vielleicht Bedenken hatte. Aber jeder Entscheidungsträger, der an den Bemühungen für den Watson-Trade beteiligt war und auch bereit ist, diese öffentlich zu rechtfertigen, verteidigen und zurechtzureden, ist mitschuldig. Einen benefit of the doubt bekommt hier von uns niemand mehr.

Ein Zeichen

Gleich mehrere NFL-Teams, darunter die Falcons, haben Deshaun Watson den roten Teppich ausgerollt und dabei nicht einmal Zeit über die Anschuldigungen wachsen lassen. Das zeigt, wie viel Wert diese Teams darauf legen, dass 22 Frauen Watson des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Belästigung beschuldigen.

Es ist nicht einmal so, dass sich ein Team erbarmt hätte, Watson zu nehmen. Die interessierten Franchises haben förmlich für ihn gebettelt. Watson konnte fröhlich entscheiden, welche Power Point Präsentation ihn nun am meisten überzeugt hat.

Es ist ein Zeichen – nicht nur an die Opfer von Watson, sondern an alle Opfer sexueller Gewalt. Man kann nur hoffen, dass immer mehr Opfer ihre Geschichten öffentlich machen werden und dass wir als Gesellschaft und Rechtsstaat immer weniger Täter davonkommen lassen. Es gibt Schritte in diese Richtung. Der Fall Watson ist ein Schritt in die andere Richtung.

Aber er wurde nicht verurteilt!

Es wäre ein Leichtes, sich zurückzulehnen, zu sagen dass man es selbst nicht beurteilen könne und Watson ja immerhin nicht verurteilt worden wäre. Dann kann man sich sicherlich weiterhin ohne Gewissensbisse nur auf das fokussieren, was innerhalb von 100 Yards passiert. Dann sollte einem aber bewusst sein, dass man möglicherweise dazu beiträgt, dass Verbrechen sexueller Gewalt auch deswegen viel zu selten aufgeklärt werden, weil sich viele Opfer gar nicht erst trauen, ihre Geschichte zu erzählen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Der Anteil der Fälle sexueller Gewalt, die angezeigt werden, schwankt in verschiedenen Studien zwischen 1 und 16%. Weil den Opfern zu oft nicht geglaubt wird, weil sie Angst oder Scham empfinden, weil sie das Gefühl haben sowieso nicht gehört zu werden. Im Fall Watson kommt noch ein riesiges Machtgefälle dazu – zwischen dem Multimillionär und NFL-Star Watson und einer Masseurin. Wir wissen nicht, ob wir den Mut hätten, den diese 22 Frauen haben, und wir haben großen Respekt vor ihnen.

Nicht verurteilt heißt nicht unschuldig. Besonders nicht bei sexueller Gewalt, die viel zu selten strafrechtlich aufgeklärt wird, weil sehr häufig Aussage gegen Aussage steht. Besonders nicht beim amerikanischen Rechtssystem. Deshaun Watson ist trotz nicht erfolgter Verurteilung mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein Täter.

Gemäß den Daten von Kriminologe Christian Peiffer erlebt nur eine von 100 Frauen, die vergewaltigt wurden, eine Verurteilung. Einerseits, weil ein Großteil der Verbrechen eben gar nicht erst zur Anzeige gebracht wird. Andererseits aber auch, weil selbst wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt, nur 7,5% der Täter verurteilt werden. Achtung – anderer Straffall, Watson ist nicht der Vergewaltigung beschuldigt. Aber man kann davon ausgehen, dass die Zahlen für sexuellen Missbrauch und Belästigung ähnliche sind.

Man sollte außerdem beachten, dass eine Grand Jury nicht über schuldig oder unschuldig entscheidet und das keinem Gerichtsverfahren, wie wir es kennen, gleichzusetzen ist. Eine Grand Jury entscheidet darüber, ob der Staat genug Beweise für einen Prozess und somit Aussicht auf Erfolg hat. Das war bei Watson anscheinend nicht der Fall. Das trifft jedoch keine Aussage darüber, ob Watson schuldig oder unschuldig ist.

Praktisch für Watson, dass er zum Beispiel die Nachrichten, die er mit den Opfern gewechselt hat, konsequent gelöscht hat – und sexuelle Belästigung und Missbrauch allgemein nur sehr schwer nachzuweisen ist. Er weigerte sich außerdem, trotz der Beteuerung, seinen Namen reinwaschen zu wollen, unter Eid auszusagen.

Aber die anderen!

Watson mag der aktuellste und prominenteste Fall sein, allein ist er sicher nicht. Big Ben, ein mutmaßlicher Vergewaltiger, war jahrelang QB und Aushängeschild der Pittsburgh Steelers. Die Chiefs bezahlen Tyreek Hill, der seine schwangere Freundin gewürgt sowie in den Bauch und ins Gesicht geschlagen hat. Die Browns Kareem Hunt, der eine Frau geschlagen und gekickt hat.  

Diese Teams gehören alle für ihre Entscheidungen kritisiert. Dass Moral in der NFL sekundär ist, wenn der sportliche Vorteil stimmt, ist nicht erst seit Watson und nicht nur in Atlanta so. Besser macht es das nicht. Und es gibt Unterschiede: Zumindest manche Spieler wurden dafür bestraft, und Kareem Hunt hat sich immerhin für seine Taten entschuldigt.

Deshaun Watson musste bisher keine Konsequenzen für seine Handlungen davontragen. Er wird möglicherweise ein paar Spiele von der NFL gesperrt werden, aber was bedeutet das schon. Die Browns haben seinen Vertrag jetzt sogar so strukturiert, dass er selbst bei einer Sperre so gut wie kein Geld verlieren wird.

Watson beteuert, unschuldig zu sein, und hat sich mit keinem Wort für irgendetwas entschuldigt. Es war bei ihm auch kein einmaliger Aussetzer, den man vielleicht irgendwie verzeihen könnte. Er hat den Schilderungen der Opfer nach viele verschiedene Frauen belästigt, immer wieder dieselbe widerliche Nummer versucht und seine Macht auf ekelhafte Weise missbraucht.

Es sind alle Teams gleich moralisch am Ende, die Watson wollten und ein Trade-Angebot für ihn unterbreitet haben. Für wen sich Watson da am Ende entschieden hat, ist eigentlich egal – alle wollten ihn, alle hätten darüber hinweggesehen, dass ihn 22 Frauen der sexuellen Gewalt beschuldigen. Process > Result.

Falcons, Saints, Panthers, Browns – wir haben in den vergangenen Tagen genug über die moralischen Prinzipien dieser Teams herausgefunden. Da ist niemand irgendwie besser als die anderen. Wir sollten nicht die Teams vergessen, die für Watson traden wollten, ihn aber nicht bekommen haben.

Time will heal

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Egal wie unangenehm ein Zustand ist, er kann sich daran gewöhnen. So wird es auch mit Watson sein – wie groß ist der Aufschrei noch in einem Jahr? In drei Jahren? In zehn Jahren? Sicherlich deutlich geringer als in der Woche direkt nach dem Trade. Vermutlich werden es schon bis zum Draft viele verdrängt haben, und Terry Fontenot oder auch Andrew Berry werden wieder daran beurteilt werden, welchen Receiver sie in Runde 2 picken.

The show must go on, und nichts ist so sehr auf Show aus wie die NFL. Es wird zum Glück immer kritische Stimmen geben. Diese werden mit der Zeit aber seltener und leiser und weniger gehört werden. Es ist einfacher, solche Umstände zu ignorieren oder zu verdrängen, als sich immer wieder damit auseinanderzusetzen.

Gerade deswegen wollen wir nicht vergessen. Wir werden nicht für die nächsten 10 Jahre wöchentlich einen Artikel über Watson und das Falcons Front Office veröffentlichen. Aber wir werden nicht ignorieren, dass die Falcons alles versucht haben, um einen Spieler nach Atlanta zu holen, der mehrfacher sexueller Übergriffe beschuldigt wird. Dass Arthur Blank, Terry Fontenot, Arthur Smith und weiteren der sportlich lukrative Quarterback wichtiger war als moralische Integrität und Respekt vor den Opfern. Das wollen wir nicht vergessen – und sollten wir es doch tun, bitte erinnert uns daran.

Und jetzt?

Wie soll es jetzt als Fan der Atlanta Falcons weitergehen? Das muss jeder Fan für sich selbst beantworten. Es gibt keinen Blueprint, keine richtige Art Fan zu sein. Für uns stellt der Versuch des Trades vieles infrage. Wir wollen stolz auf „unsere“ Franchise sein, stolz auf das was sie verkörpert – das wird nun nicht mehr möglich sein.

Es ist sehr schön, dass Watson nicht in Atlanta gelandet ist. Das wird es um einiges leichter machen, dieses Team weiterhin zu unterstützen. Und dennoch haben wir in den letzten Tagen genug über den moralischen Kompass der Entscheidungsträger der Falcons erfahren, der Personen die die Franchise repräsentieren, um die Ansichten, die wir über die Integrität unseres Lieblingsteams hatten, komplett aus der Bahn zu werfen.

Es wird manche geben, die sich vom Team abwenden werden oder deren Status als Fan sich jedenfalls verändern wird, selbst wenn Watson kein Falcon geworden ist. Andere werden das Team wie vorher unterstützen und nichts von ihrer Leidenschaft als Fan verlieren.

Solange man dabei den Hintergrund von Watson nicht ignoriert, können wir jede Entscheidung nachvollziehen und wollen wir nicht darüber urteilen, was der richtige Umgang als Fan damit ist.

Fazit

Wir sind erleichtert. Aber allein der Versuch des Trades für Deshaun Watson erschüttert uns. Er zeigt, dass den Falcons grundsätzliche Werte fehlen und man die moralisch richtige Entscheidung für (erhofften) sportlichen Erfolg verkaufen wollte. Dass sich Watson nicht für Atlanta entschieden hat, ändert nichts daran. Blank, Fontenot und Co. haben alles gegeben, um einen Mann, der von 22 Frauen der sexuellen Gewalt beschuldigt wird, zum neuen Gesicht der Franchise zu machen. Das ist unverzeihlich.

Wer Opfern sexueller Gewalt durch Spenden helfen will, kann das zum Beispiel hier tun:

https://www.frauenhauskoordinierung.de/spenden

https://spenden.weisser-ring.de/

Quellen und weitere Informationen zu sexueller Gewalt und zum Fall Watson findet ihr hier:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/sexualisierte-gewalt-der-mythos-der-falschen-beschuldigung-1.4166540

https://www.sueddeutsche.de/panorama/vergewaltigung-die-7-wichtigsten-fakten-zu-sexueller-gewalt-1.2937498

https://weisser-ring.de/en/node/20667

https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/verurteilungen-vergewaltigung-101.html

https://www.si.com/nfl/2022/03/11/deshaun-watson-what-we-know-one-year-after-first-lawsuit