Nach der Entlassung des langjährigen Headcoaches Dan Quinn und dem mäßig erfolgreichen Interims-Intermezzo von Raheem Morris sind die Atlanta Falcons zum ersten Mal seit 2015 wieder auf der Suche nach einem neuen Headcoach. In den vergangenen Wochen wurden einige Namen bekannt, mit denen die Falcons ein Interview führen wollen oder bereits geführt haben. Wir wollen in diesem zweiteiligen Artikel auf die Kandidaten blicken, mit denen die Falcons in Verbindung gebracht werden, die Punkte diskutieren, die für und gegen sie sprechen und bilanzieren, welche Kandidaten uns am besten gefallen würden.
Doch bevor wir uns die gehandelten Namen genauer anschauen, wollen wir noch ausführen, warum uns ein offensive-minded Headcoach grundsätzlich lieber ist als einer, der auf der Seite der Defense zuhause ist. Trotz des beliebten Football-Kalenderspruchs „Offense wins Games, Defense wins Championships“ hat die Offense in der heutigen NFL eine höhere Bedeutung als die Defense. Grundsätzlich wird es immer schwer, wenn eine der beiden Units am Ligaboden einzuordnen ist und das Ideal sind eine gute Offense und Defense. Eine nur mittelmäßige oder sogar unterdurchschnittliche Defense bei starker Offense (Beispiel: Chiefs, Packers, Titans) ist jedoch deutlich leichter zu kompensieren als eine mittelmäßige oder unterdurchschnittliche Offense mit starker Defense (Beispiel: Bears, Steelers, Dolphins).
Dazu kommt, dass Defense-Erfolg volatiler ist, sprich unbeständiger ist, stärker variiert und man sich schwer auf den Erfolg der eigenen Defense verlassen kann. Daher ist es erstrebenswert, seinen Headcoach und damit in der Regel einen ausgezeichneten Experten in seinem Bereich auf der Seite des Balls zu haben, auf der Erfolg konstanter und verlässlicher ist.
Man kann dagegen halten, dass auch ein defensive-minded HC mit einem gut gewählten Offensive Coordinator zu einer starken Offense führen kann. Problem dabei ist, dass der OC bei entsprechender Leistung der Offense dann nach einem oder spätestens zwei Jahren wieder weg ist, weil er selbst HC-Offerten von anderen Teams erhält. Diese Erfahrung durften wir leidvoll mit Kyle Shanahan machen.
Das ist gewiss keine Faustregel zum Erfolg und deswegen sind offensive-minded HCs nicht automatisch eine gute und defensive-minded HCs eine schlechte Wahl. Der erfolgreichste Headcoach dieses Jahrtausends, Bill Belichick, war ein vorheriger Defensive Coordinator. Mit Sean McDermott und Brian Flores stammen zwei HCs, die zuletzt herausragende Arbeit geleistet haben und sich beide berechtigte Hoffnungen auf den Coach Of The Year – Award machen dürfen, von der Seite der Defense. Einer der schlechtesten HCs der letzten Jahre war vorher Offensive Coordinator von Peyton Manning: Adam Gase, inzwischen mehr Meme als respektierter Coach. Und letztendlich sind als HC auch deutlich mehr Qualitäten gefragt, als nur ein guter Coordinator und Playcaller zu sein.
Daher ist es auch sinnvoll, sich die besten Kandidaten von beiden Seiten des Footballs anzuschauen. Nichtsdestotrotz bietet ein offensive-minded HC erläuterte Vorteile.
Heute blicken wir daher auf die Kandidaten mit offensivem Background, während wir uns dann übermorgen den Defense-Kandidaten zuwenden wollen.
Eric Bieniemy: Bieniemy, 51 Jahre alt, wird schon seit geraumer Zeit als potentieller HC gehandelt und ist Offensive Coordinator der Kansas City Chiefs. Für Viele ist es ein Rätsel, warum Bieniemy noch keinen HC-Job hat, Chiefs-HC Andy Reid sowie Patrick Mahomes sprechen in den höchsten Tönen über ihn. Bieniemy ist ein ehemaliger Running Back, startete seine Coaching-Karriere als RB-Coach und hatte diese Rolle auch in Kansas City über viele Jahre inne. Seit 2018 ist er dort Offensive Coordinator und betreut die gefährlichste Offense der NFL.
Pro: Bieniemys Erfolg mit den Chiefs ist unbestritten. Die Chiefs-Offense ist gut designt, lässt die Stärken ihrer Spieler zur Geltung kommen und legt seit 2018 beeindruckende Zahlen auf. Sie ist eine moderne Offense, die passlastig und aggressiv statt konservativ agiert. Mit viel Play Action und Motion beim Snap macht sie es der gegnerischen Defense schwer und enthält zwei Elemente, die wir unter Dirk Koetter schmerzlich vermisst haben. Trotz Andy Reid dürfte Bieniemy seinen guten Anteil am Design der Offense haben. Und schließlich kommen aus Kansas City viele lobende Stimmen über Bieniemy, nicht nur was seine Fähigkeiten als Coordinator betrifft, sondern auch seinen Umgang mit den Spielern.
Contra: Der größte Nachteil von Bieniemy ist die Unsicherheit über den Anteil, den er am Erfolg der Chiefs-Offense hat. Einerseits ist da die individuelle Klasse der Chiefs-Offense – nicht nur Patrick Mahomes, sondern auch Travis Kelce, Tyreek Hill oder Mitchell Schwartz gehören auf ihrer Position zu den Besten. Andererseits gibt es noch HC Andy Reid, der gewichtigen Einfluss auf das Scheme und den Erfolg der Offense hat. Angemerkt sei auch, dass Reid und nicht Bieniemy die Plays callt. Bei Bieniemys einzig vorheriger Station als OC hatte er am College in Colorado nur mäßigen Erfolg. Und es gibt manche Stimme die meint, dass der QB-Coach der Chiefs, Mike Kafka, mehr mit dem Erfolg von Mahomes zu tun hat als Bieniemy. Ob das alles legitime Bedenken oder das klassische Overthinking eines auf den ersten Blick sehr guten Kandidaten sind ist schwer abzuschätzen.
Arthur Smith: Smith ist ein Name, der immer wieder mit den Falcons in Verbindung gebracht wird. Der Offensive Coordinator der Tennessee Titans hat einen eher ungewöhnlichen Weg in die Liga: Der 38-jährige Smith hat keine NFL-Vorgeschichte als Spieler, ist dafür aber der Sohn des FedEx-Gründers und Multi-Milliardärs Frederick Smith. Arthur Smith ist seit 2011 bei den Titans, fing dort als Quality Control Coach an, zuerst für die Defense, dann für die Offense, arbeitete sich zum TE-Coach hoch und wurde 2019 schließlich OC.
Pro: Smith kann die Entwicklung von einer der langweiligsten und schlechtesten Offenses der Liga zu einer Top 3 – Offense nach EPA vorweisen. Er half Ryan Tannehill nicht nur zurück in die Spur, sondern auf ein Level, auf dem er noch nie zuvor gespielt hat. Dafür verdient nicht nur Tannehill Kredit, der 2020 eine tolle Saison spielte und das Level von 2019 mehr oder weniger halten konnte, sondern auch Arthur Smith. Die Titans-Offense hat viele gute Playdesigns, insbesondere im Play Action Passspiel, und erleichtert ihrem QB so seinen Job.
Contra: Während die Playdesigns häufig sehr gut sind, ist das Playcalling hingegen oft fragwürdig. Die Titans sind sehr Run-lastig und hatten 2020 als eines von nur drei Teams eine Passquote von unter 50%. So gut Derrick Henry als Runner ist, wurde hier viel Potential der Offense durch übermäßiges Running bei 1st und 2nd down verschwendet. Insbesondere das Playoffspiel gegen die Ravens oder das Spiel gegen die Steelers in der Regular Season sind Beispiele für Matches, in denen Smith zu lang und stur am Run festhielt, obwohl dieser nicht funktionierte. Wie sehr der Run-lastige Ansatz auf Smith und wie sehr auf den konservativen HC Mike Vrabel zurückzuführen ist wissen wir nicht, doch es würde überraschen, wenn Smith komplett von seinem Absatz abweichen würde. Nicht nur ist dieser Ansatz grundsätzlich zu hinterfragen, sondern auch fraglich, ob das ohne Henry und mehrere gute Run Blocker so funktioniert wie in Tennessee.
Nathaniel Hackett: Der 41-jährige Hackett ist der Offensive Coordinator der Green Bay Packers und dort insbesondere für das Playcalling in der Redzone verantwortlich. Zuvor arbeitete er bereits 2013-14 in Buffalo als OC unter HC Doug Marrone, dem er 2015 nach Jacksonville folgte, wo er zuerst die Rolle als QB-Coach und dann von 2016-2018 wieder als OC innehatte.
Pro: Die Packers-Offense ist 2020 die nach EPA beste der Liga und Aaron Rodgers wird nach zuletzt weniger effektiven Jahren höchstwahrscheinlich und hochverdient den MVP-Titel gewinnen. Die Packers-Offense, für die zwar in erster Linie Matt LaFleur, in zweiter aber Nathaniel Hackett verantwortlich ist, ist eine nicht nur individuell sehr gute, sondern auch toll designte Offense in Pass und Run Game, die Elemente einer modernen Offense, wie viel Play Action und Motion, enthält. In Jacksonville kann Hackett das Jahr 2016 aufweisen, in dem die Jaguars trotz Blake Bortles als Quarterback eine überdurchschnittliche Offense hatten.
Contra: Insgesamt ist Hackett’s Bilanz als OC durchwachsen, in Buffalo und in Jacksonville hatte er nur mäßigen Erfolg. Obwohl er auch mit fehlendem Talent zu kämpfen hatte stand er für konservatives und nicht wirklich überzeugendes Playcalling. Vor Rodgers überragender Saison 2020 hätte niemand Hackett auch nur in die Nähe eines freien HC-Stuhls gerückt. Man darf sehr infrage stellen, inwieweit Hackett für den Erfolg der Packers-Offense verantwortlich ist und ob er nicht enorm von Rodgers und LaFleur profitiert. Das sind ähnliche Kritikpunkte wie bei Bieniemy, jedoch haben wir bei Hackett, im Gegensatz zu Bieniemy, bereits Erfahrungen aus der NFL, wie er sich woanders schlägt, und diese fallen bei Hackett nicht gerade positiv aus.
Joe Brady: Brady ist der mit Abstand jüngste Kandidat und wird mit seinen 31 Jahren von manchen als „der neue McVay“ bezeichnet. Brady kam 2017 beim ungeliebten Rivalen aus New Orleans als Offensive Assistant in die NFL und hat daher Verbindungen mit dem als GM-Kandidat gehandelten Terry Fontenot. 2019 war er der Passing Game Coordinator der historisch guten Offense der LSU Tigers um Joe Burrow und erhielt so viel Aufmerksamkeit. 2020 wurde er dann von Matt Rhule in den Coaching Staff der Carolina Panthers geholt und war dort der OC von Teddy Bridgewater und Co.
Pro: Playdesigns und Playcalling sind exzellent. Brady callt eine kreative und moderne Offense, die gut geschemet ist und die Spieler entsprechend ihrer Stärken und Schwächen einsetzt. Aus einer durch O-Line und Teddy Bridgewater limitierten und nicht übermäßig talentierten Offense holte Brady viel raus, nachdem er 2019 mit mehr Talent bei LSU für ein kaum zu stoppendes Passing Game verantwortlich war. Die McVay-Vergleiche sind hoch gegriffen und auch nicht ganz passend, nachdem Brady weniger Erfahrung in der NFL hat als McVay hatte, jedoch ist das Talent und tolle Scheme von Brady nicht von der Hand zu weisen. Und schließlich, wenn ein Kandidat zwar für sehr talentiert, aber etwas zu unerfahren gehandelt wird: Hol ihn dir, bevor er in einem Jahr bei einer anderen Franchise anheuert.
Contra: Man kann argumentieren, dass Brady bei LSU herausragendes Talent zur Verfügung hatte und sein Erfolg daher ein Stück weit zu erwarten war. In Carolina konnte er eine personell durchschnittliche Offense nicht weit über den Durchschnitt hinausbringen und orchestrierte, anders als Bieniemy, Smith oder Hackett (die jedoch ganz anderes Spielertalent zur Verfügung hatten), keine Elite-Offense in der NFL. Dazu kommt die mangelnde Erfahrung: Brady hat erst ein Jahr als Coordinator in der NFL gearbeitet und auch vorher nur wenige Jahre Coaching-Erfahrung auf hohem Niveau vorzuweisen.
Hier geht’s zu unserem Überblick zu den Kandidaten von der defensiven Seite des Balls, sowie zu unseren persönlichen Top 3 Kandidaten.
Eine Antwort auf „HC Kandidaten – Offense Edition“
[…] wir uns vorgestern bereits die Offense-Kandidaten angeschaut haben, wollen wir uns heute den HC-Kandidaten mit defensivem Background zuwenden. Zum […]